
Pro Novum ist bereits seit über 30 Jahren tätig. Wie bewerten Sie die Veränderungen in der polnischen Energiewirtschaft im Laufe der letzten Jahre?
Jerzy Trzeszczyński, Vorstandsvorsitzender der Pro Novum sp. z o.o.: Der polnische Energiesektor durchläuft eine komplizierte Transformation, die vor fast 30 Jahren durch den Systemwechsel eingeleitet worden ist und die sich anschließend auf die Eigentümerstruktur und Organisation, zuletzt auch auf die Technologien, erstreckt hat. Bei derart breit angelegten und komplizierten Veränderungen ist es schwierig einzuschätzen, ob man diese hätte besser und schneller durchführen können. Heute ist es wichtig, dass diese Transformation möglichst schnell und mit einem guten Ergebnis für den polnischen Energiesektor abgeschlossen wird sowie dass für ihn eine realistische mehrjährige Strategie entsteht. Laufende und vorhersehbare zukünftige Probleme sind hauptsächlich wirtschaftlicher und technologischer Art. Die zukünftige Formel des europäischen Stromversorgungssystems ist eine Herausforderung nicht nur für die polnische Energiewirtschaft.
Das 19. Symposium Pro Novum betrifft die Diagnostik und Instandsetzungen von thermischen und mechanischen Anlagen für Kraftwerke. Wie stellen sich die polnischen Kraftwerke im europäischen Vergleich hinsichtlich ihres technischen Zustands, der Sicherheit und der Implementierung moderner Lösungen dar?
JT: Polnische Kraftwerke zeichnen sich durch ein hohes Sicherheitsniveau aus. Zwar besteht das Produktionsvermögen hauptsächlich aus schon lange betriebenen Blöcken, jedoch sind diese mehrfach modernisiert worden. Das hat ihre Verfügbarkeit und Funktionsfähigkeit wesentlich verbessert und die von ihnen ausgehende Umweltbelastung verringert. Es wäre schwierig, im europäischen Maßstab Lösungen zu finden, die noch nicht in polnischen Kraftwerken eingesetzt worden sind. Seit mehreren Jahren werden in polnischen Kraftwerken Blöcke für überkritische Parameter gebaut. Systematisch wächst der Anteil der aus erneuerbaren Quellen erzeugten Energie. Das wiederum bewirkt u. a., dass der Bedarf nach einem flexibleren Betrieb der mit Kohle befeuerten Blöcke zunimmt. Pro Novum hat einen bedeutenden Anteil an der Diagnostik, die dem Bedarf von im Regelungsmodus betriebenen Blöcken angepasst ist. Das diesjährige 19. Symposium wird eine Gelegenheit bieten, unsere neuesten Errungenschaften in diesem Bereich zu präsentieren.
Inwieweit sind wir als Land auf die Ära der Wirtschaft 4.0 vorbereitet?
JT: Wir sind uns dieser Herausforderung bereits bewusst. Vorerst verstehen es nur wenige, und das in einem beschränkten Umfang, dies für sich zu nutzen. Manche Branchen wie die Energiewirtschaft haben sich eher zufällig in der Wirtschaft 4.0 wiedergefunden. Ihre Anpassung an die neuen Bedingungen beginnen sie mit der Einführung entsprechender Geschäftsmodelle. Wir sind der Ansicht, dass Kraftwerke 4.0 auch eine Diagnostik 4.0 benötigen. Während des letztjährigen Symposiums haben wir diese Art von Diagnostik vorgeschlagen.
In welchem Grad beeinflusst der Einsatz neuer Technologien in der Energiewirtschaft gegenwärtig den Umweltschutz? Kann die Stromerzeugung „umweltfreundlich“ sein?
JT: Die Besonderheit des polnischen Energiesektors, nicht nur im europäischen Maßstab, war, dass er vollkommen von der Stromerzeugung durch die Verbrennung von Stein- und Braunkohle dominiert worden ist. Das hat uns bisher und jetzt Unabhängigkeit und Energiesicherheit gewährt. Heute gibt es jedoch deswegen auch viele Probleme. Die Transformation hin zu einer CO2-armen oder sogar CO2-freien Energieerzeugung ist und wird für uns weiterhin besonders schwierig und sehr kostenintensiv sein. Wenn man den polnischen Energiesektor objektiv betrachtet, muss man feststellen, dass wir sehr viel getan haben. In der öffentlichen Energiewirtschaft erfüllen fast alle Blöcke, selbst seit langem betriebene, die Anforderungen der Industrieemissionen-Richtlinie 2010/75/EU. Die übrigen haben Derogationen erhalten. Nach ihrem Ablauf werden sie in den nächsten Jahren außer Betrieb genommen. Gegenwärtig laufen die Vorbereitungen auf weitere Modernisierungen, um die sog. BVT-Schlussfolgerungen zu erfüllen. Trotz der unvorteilhaften natürlichen Bedingungen für eine effiziente Stromerzeugung mit Wind- und Solartechnik nimmt der Anteil der aus diesen Quellen generierten Energie systematisch zu. Die Stromerzeugung erfolgt in Polen immer umweltfreundlicher. Ich sehe keine Gefahren für eine Fortsetzung dieser Strategie.
Worin sehen Sie vor allem die Chancen für eine Erhöhung der Energiesicherheit des Landes?
JT: Die Erhöhung der Sicherheit des Nationalen Energiesystems setzt die Erfüllung vieler Bedingungen voraus. Vor allem müssen Stein- und Braunkohle als Energiequelle effizienter genutzt werden. Gleichzeitig ist eine Diversifizierung vorzunehmen und dabei der Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen. Das vorhandene Produktionsvermögen ist gut zu nutzen. Neue Blöcke, insbesondere große, sollten in einem höheren Maß als bisher im Grundmodus betrieben werden. Dabei sind ihre Vorzüge, insbesondere der hohe Wirkungsgrad und die geringe Emission, auszunutzen. Bereits lange betriebene Blöcke, besonders solche der Klasse 200MW und 360MW, sollten entsprechend für den Regelungsbetrieb eingerichtet werden. Das Nationale Energiesystem sollte entsprechend in das europäische Verbundsystem integriert werden, sowohl hinsichtlich der Stromerzeugung als auch der Regelung.
Die Pro Novum sp. z o.o. ist Veranstalter des 19. Symposiums DIAGNOSTIK UND INSTANDSETZUNGEN VON THERMISCHEN UND MECHANISCHEN ANLAGEN FÜR KRAFTWERKE: Diagnostik zur Verlängerung der Nutzungsdauer und für einen flexiblen Betrieb von Kraftwerken. Die AHK Polen hat die Schirmherrschaft übernommen.